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Bibliothek soll deutsches Internet archivieren
Manche Gesetze haben einfach nicht das Zeug, rechtzeitig von der Öffentlichkeit bemerkt zu werden. Das "Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek" ist so eines. Manche Gesetze haben einfach nicht das Zeug, rechtzeitig von der Öffentlichkeit bemerkt zu werden. Das "Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek" ist so eines. Einen Tag vor Heiligabend 2005 ist der Entwurf der Bundesregierung dazu veröffentlicht worden, zu einem Zeitpunkt also, als viele Politiker und Journalisten schon in Feiertagslaune gewesen sein dürften.
Beschlossen wurde dieses Gesetz am 22. Juni 2006: Das war zwei Tage vor dem Achtelfinale der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM gegen Schweden. Im Taumel der WM erschien das Gesetz im Bundesgesetzblatt eine Woche später, zwei Tage vorm Viertelfinale gegen Argentinien.
Das ist auch an der HAZ vorbeigegangen. Dabei hätten sowohl der Entwurf als auch das Gesetz selbst eine kritische Beleuchtung verdient gehabt. Denn nach den Buchstaben dieses nun geltenden Werkes ist künftig jedermann aus Deutschland, wenn er Internet-Seiten veröffentlicht, dazu verpflichtet, sie zusätzlich bei der Nationalbibliothek in Frankfurt am Main abzuliefern - und zwar binnen einer Woche, auf eigene Kosten, vollständig. Bei Zuwiderhandeln droht eine Ordnungswidrigkeit von bis zu 10.000 Euro. Das Gesetz schränkt ein: Internet-Inhalte könnten dabei auch lediglich "zur Abholung bereitgestellt werden".
Erst allmählich sickern die Auswirkungen dieses Gesetzes über die Fachmedien auch eine breitere Öffentlichkeit durch. Im Kern bedeutet dieses Gesetz die umfangreiche staatliche Erfassung des nahezu gesamten deutschen Teils des Internets. Jede Webseite der "Tagesschau", von "Spiegel Online" und allen anderen Medien in Deutschland, darunter auch der HAZ, gehört dazu und muss künftig bei der Nationalbibliothek abgeliefert oder ihr zumindest bereitgestellt werden. Ähnliche Pflichten hatte bisher jeder Buchverleger hier zu Lande, entstanden aus der wohlgemeinten Absicht des Gesetzgebers, das kulturelle Erbe zu sichern.
In Sachen Internet dürfte sich diese neuerdings geltende Pflichtablieferung von WWW-Veröffentlichungen aber dalli zum Problem, zumindest zum Gesetzeskonflikt entwickeln. Wer einen nachrichtlichen Internetauftritt professionell betreibt, kennt die Dynamik dieses Mediums. Von einer Minute auf die andere ändert sich bei den Profis die Nachrichtenlage - da erscheinen manchmal minütlich die Nachrichten in geänderter Reihenfolge. Eine wichtige Eilmeldung wird zunächst an prominentester Stelle im Internet-Angebot eingebaut, etwas später durch eine klarere Fassung ersetzt, dann mit weiteren Informationen ergänzt, umgeschrieben, anders eingeordnet, von anderen dementiert, nochmals klargestellt. Am Ende eines Nachrichtentages wird die Nachricht nochmals neu zusammengefasst und an vielleicht etwas weniger prominenter Stelle des Online-Mediums weiterhin veröffentlicht. Viele professionelle Website-Betreiber haben selbst intern keine Möglichkeit vorgesehen, den Veröffentlichungsstand der eigenen Seiten zu einem Zeitpunkt X, zum Beispiel von 14 Uhr vom Vortag, zu archivieren - zu aufwändig und meist auch unnütz wäre solche eine Funktion. "Kosten ... für die Wirtschaft .. sind nicht zuerwarten", hieß es dagegen in der Beschlussvorlage.
Dabei ist die die staatliche Archivierung der etablierten Medien, die eine Entsprechung als gedrucktes Werk haben, nur der erste Schritt. Im zweiten Schritt aber sollen auch internetübliche Veröffentlichungen wie Forumsbeiträge und Weblogs archiviert werden. Und im dritten Stadium dann das gesamte deutsche Netz, also auch Seiten von Vereinen, Verbänden, Werbetreibenden, Privatleuten. "Nicht nur Online-Medien sind Veröffentlichungen. Auch eine private Homepage ist eine Publikation, ob mit Passwort geschützt oder nicht", sagte Stephan Jockel von der Deutschen Nationalbibliothek der "Süddeutschen Zeitung".
Hinzu kommt, dass viele Geschäftsmodelle im Internet auf Kostenpflichtigkeit basieren. Wie mit wertvollen Archiven umzugehen ist, darüber schweigt sich der Gesetzgeber aus.
Noch viel problematischer erscheint die Archivierung privater und sogar passwortgeschützter privater Homepages. Jedes Archiv ist nur dann nützlich, wenn man darin ohne großen Aufwand suchen kann. Wie groß der Aufwand ist, auch nur den aktuellen Bestand des weltweiten Internets zugänglich zu machen, verdeutlicht der Marktführer Google. Dort arbeiteten im Jahr 2005 rund 6580 Mitarbeiter mit mehr als 10.000 Servern daran, das weltweite Internet in seinem aktuellen Zustand durchsuchbar zu machen. Laut Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek sollen jedoch die vergleichbare Aufgabe für den deutschen Teil des Internet 21 bis 28 Mitarbeiter bewerkstelligen, mit einem Budget von zunächst 1,9 Millionen Euro jährlich, später 2,9 Millionen Euro. Nicht zu vergleichen mit den Hunderten von Millionen von US-Dollar, die Google zur Verfügung stehen. Und das laut Gesetz nicht nur zum Stand des deutschen Internets von vor einer Woche, sondern auch zu früheren Zuständen.
Laut Gesetzestext kann die Ablieferungs- und Sammelpflicht noch per Rechtsverordnung eingeschränkt werden kann.Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt soll künftig das komplette deutsche Internet archivieren – und zwar jede einzelne Seite. Das hat der Bundestag beschlossen. Wie, ließ der Gesetzgeber allerdings offen.
http://www.haz.de/politik/290854.html
Beschlossen wurde dieses Gesetz am 22. Juni 2006: Das war zwei Tage vor dem Achtelfinale der deutschen Mannschaft bei der Fußball-WM gegen Schweden. Im Taumel der WM erschien das Gesetz im Bundesgesetzblatt eine Woche später, zwei Tage vorm Viertelfinale gegen Argentinien.
Das ist auch an der HAZ vorbeigegangen. Dabei hätten sowohl der Entwurf als auch das Gesetz selbst eine kritische Beleuchtung verdient gehabt. Denn nach den Buchstaben dieses nun geltenden Werkes ist künftig jedermann aus Deutschland, wenn er Internet-Seiten veröffentlicht, dazu verpflichtet, sie zusätzlich bei der Nationalbibliothek in Frankfurt am Main abzuliefern - und zwar binnen einer Woche, auf eigene Kosten, vollständig. Bei Zuwiderhandeln droht eine Ordnungswidrigkeit von bis zu 10.000 Euro. Das Gesetz schränkt ein: Internet-Inhalte könnten dabei auch lediglich "zur Abholung bereitgestellt werden".
Erst allmählich sickern die Auswirkungen dieses Gesetzes über die Fachmedien auch eine breitere Öffentlichkeit durch. Im Kern bedeutet dieses Gesetz die umfangreiche staatliche Erfassung des nahezu gesamten deutschen Teils des Internets. Jede Webseite der "Tagesschau", von "Spiegel Online" und allen anderen Medien in Deutschland, darunter auch der HAZ, gehört dazu und muss künftig bei der Nationalbibliothek abgeliefert oder ihr zumindest bereitgestellt werden. Ähnliche Pflichten hatte bisher jeder Buchverleger hier zu Lande, entstanden aus der wohlgemeinten Absicht des Gesetzgebers, das kulturelle Erbe zu sichern.
In Sachen Internet dürfte sich diese neuerdings geltende Pflichtablieferung von WWW-Veröffentlichungen aber dalli zum Problem, zumindest zum Gesetzeskonflikt entwickeln. Wer einen nachrichtlichen Internetauftritt professionell betreibt, kennt die Dynamik dieses Mediums. Von einer Minute auf die andere ändert sich bei den Profis die Nachrichtenlage - da erscheinen manchmal minütlich die Nachrichten in geänderter Reihenfolge. Eine wichtige Eilmeldung wird zunächst an prominentester Stelle im Internet-Angebot eingebaut, etwas später durch eine klarere Fassung ersetzt, dann mit weiteren Informationen ergänzt, umgeschrieben, anders eingeordnet, von anderen dementiert, nochmals klargestellt. Am Ende eines Nachrichtentages wird die Nachricht nochmals neu zusammengefasst und an vielleicht etwas weniger prominenter Stelle des Online-Mediums weiterhin veröffentlicht. Viele professionelle Website-Betreiber haben selbst intern keine Möglichkeit vorgesehen, den Veröffentlichungsstand der eigenen Seiten zu einem Zeitpunkt X, zum Beispiel von 14 Uhr vom Vortag, zu archivieren - zu aufwändig und meist auch unnütz wäre solche eine Funktion. "Kosten ... für die Wirtschaft .. sind nicht zuerwarten", hieß es dagegen in der Beschlussvorlage.
Dabei ist die die staatliche Archivierung der etablierten Medien, die eine Entsprechung als gedrucktes Werk haben, nur der erste Schritt. Im zweiten Schritt aber sollen auch internetübliche Veröffentlichungen wie Forumsbeiträge und Weblogs archiviert werden. Und im dritten Stadium dann das gesamte deutsche Netz, also auch Seiten von Vereinen, Verbänden, Werbetreibenden, Privatleuten. "Nicht nur Online-Medien sind Veröffentlichungen. Auch eine private Homepage ist eine Publikation, ob mit Passwort geschützt oder nicht", sagte Stephan Jockel von der Deutschen Nationalbibliothek der "Süddeutschen Zeitung".
Hinzu kommt, dass viele Geschäftsmodelle im Internet auf Kostenpflichtigkeit basieren. Wie mit wertvollen Archiven umzugehen ist, darüber schweigt sich der Gesetzgeber aus.
Noch viel problematischer erscheint die Archivierung privater und sogar passwortgeschützter privater Homepages. Jedes Archiv ist nur dann nützlich, wenn man darin ohne großen Aufwand suchen kann. Wie groß der Aufwand ist, auch nur den aktuellen Bestand des weltweiten Internets zugänglich zu machen, verdeutlicht der Marktführer Google. Dort arbeiteten im Jahr 2005 rund 6580 Mitarbeiter mit mehr als 10.000 Servern daran, das weltweite Internet in seinem aktuellen Zustand durchsuchbar zu machen. Laut Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek sollen jedoch die vergleichbare Aufgabe für den deutschen Teil des Internet 21 bis 28 Mitarbeiter bewerkstelligen, mit einem Budget von zunächst 1,9 Millionen Euro jährlich, später 2,9 Millionen Euro. Nicht zu vergleichen mit den Hunderten von Millionen von US-Dollar, die Google zur Verfügung stehen. Und das laut Gesetz nicht nur zum Stand des deutschen Internets von vor einer Woche, sondern auch zu früheren Zuständen.
Laut Gesetzestext kann die Ablieferungs- und Sammelpflicht noch per Rechtsverordnung eingeschränkt werden kann.Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt soll künftig das komplette deutsche Internet archivieren – und zwar jede einzelne Seite. Das hat der Bundestag beschlossen. Wie, ließ der Gesetzgeber allerdings offen.
http://www.haz.de/politik/290854.html